25. von Røros nach Teveltunet – Teil 1

Tag 8

von Ole

Der Abschied im Hotel in Røros war super herzlich. Nach vielen Fragen und Antworten wurden wir mit vielen guten Wünschen entlassen.

Asphalt kommt uns nicht unter die Füße. Wir sparten uns die ersten 4 km dank eines Taxis. Danach ging es langsam und stetig bergauf, erst auf einer Forststraße, dann auf einem kleinen Weg, bis wir nach ca. 2 Stunden die Grube Storvartz erreichten. Von 1645 bis 1977 war hier Kupfererz geschürft worden, zusammen mit Røros UNESCO Weltkulturerbe. Wir aßen eine Happen im Windschatten eines Gebäudes und machten uns Gedanken über den Fußabdruck, den Menschen so hinterlassen. Oberirdisch sah man nur Gebäude und Abraumhalden, der Unterschied zur Natur bislang fiel aber deutlich auf. Auch noch 40 Jahre danach.

Wir fanden den Weg nach Klementvollen, wo wir ziemlich kaputt im Regen die Straße erreichten. Nach einer kurzen Pause gingen wir weiter, um noch ein paar Kilometer zu laufen. Wir wollten noch Strecke machen, weil die nächste Etappe lang und nicht markiert war und wir dafür mehr Zeit haben wollten. Als wir ca. eine Stunde und einige Autos später die Straße wieder verließen, gab es endlich die lang ersehnte Pause mit warmem Essen.

Wir waren dank des Ruhetags und der einfach zu gehenden Wege flott unterwegs. Der Blick nach vorne verhieß allerdings nichts Gutes. Die Berge wurde immer weißer. Von wegen Frühling, hier war noch Winter. Der Feldweg zog sich langsam nach oben, die Schneefelder um uns herum und auf dem Weg wurden mehr. Unsere Gedanken waren beim morgigen Tag. Über welchen Berg würde der Weg gehen? An dem großen da entlang, der bedrohlich vor uns aufragte? Wie viel Schnee würden wir vorfinden? Würden wir dieses erste unmarkierte Stück auf dem E1 schaffen?

Plötzlich riss uns das Gelände in das hier und jetzt zurück. Wir standen vor einem reißenden Fluss. Wir legten die Rucksäcke ab und fingen an zu suchen. Wo könnten wir eine Querung wagen? Wir fanden nichts. Zumindest nicht für die Kombination unserer restlichen Fitness und dem Wasserstand! Vergessen all die Gedanken an den Berg am nächsten Tag, würden wir überhaupt über den Fluss kommen? Die Natur setzt hier die Regeln und Grenzen.

Nachdem wir uns damit abgefunden hatten, dass wir den Fluss an dem Abend nicht mehr queren würden, galt es das nächste Problem zu lösen. Wo zwischen Schneefeldern und nassen Wiesen sollten wir hier unser Zelt aufschlagen? Wir entschieden uns schließlich für ein Stück des Weges selber, einigermaßen trocken und die nicht ganz geraden Stücke polsterten wir mit unseren Beuteln aus, so dass wir gerade lagen.

Müde machten wir Essen. Unsere Gedanken kreisten um den Fluss, den wir die ganze Nacht hörten. Würde er am nächsten Tag etwas weniger Wasser führen? Der Schnee würde nachts langsamer schmelzen, aber der Regen auf dem Zeltdach machte wenig Hoffnung. Einen Schritt nach dem anderen.

Tag 9

von Andrea

Das Gehirn ist unterwegs der wichtigste Muskel. Das zeigte uns dieser Tag mehr als alle Tage zuvor.

Geschlafen hatten wir beide gut. Wann immer ich aufgewacht war und mir Sorgen um den Fluss und den nicht markierten Weg am nächsten Tag gemacht hatte, hatte ich mir gesagt, dass das erst “morgen” relevant war und noch nicht “jetzt”. Das hatte erstaunlich gut funktioniert, ich war immer wieder eingeschlafen. Irgendwann um kurz nach 7 Uhr war dann allerdings “morgen” und an Schlaf nicht mehr zu denken.

Nervös machten wir Frühstück und verspeisten es eher mit Vernunft als mit Genuss. Wir hatten beide einen Knoten im Magen. Dann packten wir alles zusammen und gingen etwas bange zum Fluss hinunter.

Der Fluss schien tatsächlich etwas weniger Wasser zu führen als am Vorabend. Quasi wie aus dem Lehrbuch. Oder wirkte er nur weniger abschreckend, weil wir halbwegs ausgeschlafen und erholt waren? Eine Querung in Watschuhen erschien uns zwar ein unangenehmer Start in den Tag, aber immerhin ungefährlich. Mit schmerzenden Füßen angesichts des eisig kalten Wassers standen wir recht bald auf der anderen Seite und freuten uns, dass wir weitergehen konnten und nicht nach Glamos zurück mussten.

Den hier noch markierten Weg hatten wir unter dem vielen Schnee bald verloren. War aber auch egal, es waren eh nur noch etwa 2 km markiert, dann ging es weglos weiter. Und wir wussten, in welche Richtung wir gehen mussten. Natürlich den Hang hinauf.

Zunächst ging das auch sehr gut. Zwar war der Aufstieg anstrengend und das Gehen auf dem sehr unebenen Untergrund auch, aber wir kamen gut voran und waren guter Dinge.

Die Menge an Schnee um uns herum nahm mit jedem Meter Anstieg zu. Eigentlich wenig überraschend, aber mit solchen Massen an Schnee hatten wir beide nicht gerechnet. Vor uns lag eine wilde Landschaft mit einem Flickenteppich aus von der Schneeschmelze durchnässtem Moos und Heidekraut im Wechsel mit großen Schneefeldern. Noch einige Höhenmeter über uns lag der Pass, den wir queren wollten. Auf dem Weg dorthin gab es nicht mehr viele Stellen, die nicht weiß waren. Dunkelgraue Wolken und schneidender Wind schüchterten uns zusätzlich ein.

Wir hatten eine grobe Vorstellung der Route, die wir dort hinauf wählen wollten. Wir wussten von der Wanderkarte, dass es hier auch einige kleine Seen und diverse Bäche gab. Und mindestens einer der Bäche kam aus einem See noch weiter oben, was uns vermuten ließ, dass er eher etwas mehr Wasser führen würde. Wir wollten uns links halten und damit die Bäche und Seen so weit wie möglich umgehen.

Ob das gelingen würde, wussten wir nicht. Wir würden es versuchen. Unser Problem war, dass wir das Gelände vor uns nicht wirklich einsehen konnten. Der Hang war leicht wellig. Ob wir hinter der nächsten Welle wie geplant hübsch weiter geradeaus marschieren konnten oder vor einem kleinen See oder größeren Bach stehen würden, wussten wir erst, wenn wir den Kamm der Welle erklommen hatten.

Soweit wäre es ja nur ein Geduldsspiel gewesen. Welle erklimmen, Gelände einschätzen und dann entweder geradeaus weiter oder Route ändern und ausweichen.

Unser eigentliches Problem aber waren die großen Schneeflächen, die die Seen und Bäche unter sich verbargen. Die Schneeflächen vollständig zu umgehen war unmöglich. Ohne sie zumindest zum Teil zu überqueren gab es schlicht keinen Weg zum Pass hoch.

Immer wieder standen wir vor einer großen weißen Fläche. Dann hieß es, die Augen und Ohren weit aufsperren. Genau schauen und lauschen. Wie sah die Schneefläche aus? War sie vielleicht komplett eben? In der Mitte leicht bläulich, weil Eis durchschimmerte? Also vielleicht ein noch gefrorener See? Oder eine überfrorene Lache aus Schmelzwasser? Solche Anzeichen bedeuteten: Route ändern und ausweichen. Oder war die Schneefläche eher schräg? Dann eher kein See darunter, weil die Oberfläche eines Sees nunmal nicht schräg ist. Dann könnte sich aber immer noch ein Bach darunter verbergen. Wo war das obere Ende des Schneefeldes? Sahen wir dort einen Bach unter dem Schnee verschwinden? Sahen wir am unteren Ende des Schneefeldes einen austreten? War die Schneedecke irgendwo eingesackt oder gar eingebrochen? Hörten wir Wasser gurgeln?

Wenn wir alles geprüft hatten, ging es quer über die große Schneefläche. Bei mir jedes Mal mit weichen Knien. Hatten wir vielleicht doch etwas übersehen? Nicht genau genug geschaut? Das Gurgeln eines Baches überhört? Ich hatte permanent etwas Schiss, durch den Schnee zu brechen und mich in eisigem Wasser wiederzufinden, und sei es nur bis zu den Knien. Immer wieder versuchte ich, positive Bilder in meinem Kopf zu erzeugen. Stellte mir bewusst vor, wie es sein würde, wenn die Schneedecke gehalten hatte und wir am anderen Ende des Schneefeldes standen. So ging es langsam immer weiter.

Ab und zu nagten auch Zweifel. Was taten wir überhaupt hier oben? Sollten wir nicht umkehren, zurück nach Glamos gehen? Den Abschnitt irgendwie mit Bus oder Taxi umfahren?

Übrigens nicht hilfreich solche Fragen, weil sie mich Energie kosteten, die ich eigentlich für etwas anderes brauchte. Natürlich sollte man diese Fragen stellen. Aber wenn man sie beantwortet hat, streicht man sie bitte aus dem Kopf. Nur wenn sich die Situation verschlechtert, holt man sie wieder hervor und wägt erneut ab. Also Konzentration auf den nächsten Schritt, die Zweifel so gut es geht verbannen. Und weiter. Ganz langsam weiter rauf.

An einer Stelle hatten wir schließlich nur noch die Wahl, nun doch einen kleinen Bach mittels eines Schneefeldes zu queren oder aufzugeben. Der Bach kam von irgendwo über uns aus einem kleinen See, so viel verriet uns die Wanderkarte. Wir hatten keine Möglichkeit, ihn zu umgehen. Der Bach gurgelte unter dem Schnee. An mehreren Stellen war die Schneedecke eingebrochen und wir konnten ihn sowohl hören als auch sehen. Er war nicht tief, wir hätten ihn durchwaten können, wenn wir seinen Rand sicher hätten erreichen können. Das war aber über den eingebrochenen Schnee nicht möglich, ohne zu riskieren, dabei weiter einzubrechen und sich zu verletzen. Wir schätzten ab, wie der Bach floss. Suchten darüber im Schnee eine Stelle, die noch intakt aussah, also eben war und nicht eingesunken. Ole nahm den Rucksack ab und ging vorsichtig über die Schneedecke. Den Rucksack zog er an einer Reepschnur hinter sich her. Damit verteilte er das Gewicht. Ich rang um positive Bilder in meinem Kopf. Die Schneedecke hielt.

Dreieinhalb Stunden nach unserem Aufbruch waren wir am Pass. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Im Windschutz einer kleinen Mulde machten wir eine kurze Pause. Was wir sahen, machte Mut. Die vor uns liegende Seite wirkte weniger bedrohlich, zeigte zumindest etwas weniger Schnee. Ich atmete durch. Ich hatte fest mit einer komplett geschlossenen Schneedecke gerechnet, da es die Nordseite war. Mal eine gute Nachricht. Wir machten uns an den Abstieg.

Es blieb ein Slalom um kleine Seen und Bäche herum. Aber es ging endlich bergab. Und wir schauten in ein Tal mit (immer noch kahlen) Bäumen und nicht länger auf über uns aufragende Bergflanken. Und sogar die Sonne kam mal heraus. Was machte das im Kopf doch gleich für einen Unterschied!

Im Abstieg machten die Schneefelder sogar Spaß – wenn sie vorher die See- und die Flussprüfung bestanden hatten – da wir halb gehend halb schliddernd wunderbar schnell bergab kamen.

Je weniger Schnee es mit jedem Meter Abstieg wurde, desto mehr liefen wir durch Wasser und Matsch. Die Füße waren längst nass. Aber das konnte uns nicht mehr stoppen. Wir steuerten das Ende des Sees Nersjøen an, das wir laut Wegbeschreibung des DNT auf einem Damm überqueren sollten (ein Stausee?). Ich hatte noch eine leichte Sorge, dass das nicht gehen könnte, weil so ein Damm ja vielleicht mit einem Zaun oder einer Tür verriegelt war. Aber die Aussicht auf den Schotterweg, der einen guten Kilometer hinter dem Damm beginnen sollte, hob die Stimmung enorm und ließ die Sorgen vergessen. Vielleicht würden wir es – wenn wir alle Reserven mobilisierten – an dem Tag sogar noch bis zur Kjølihytta schaffen. Was für eine Aussicht! Eine Hütte, in der wir am Ofen unsere Schuhe trockenen könnten. Waren wir erst über den Damm und auf dem Schotterweg, würden wir die gut 300 Höhenmeter und etwa 9 km bis zur Hütte schon irgendwie noch schaffen. Und wenn wir abends um 22 Uhr dort ankämen. Die Aussicht war ja soooo verlockend.

Dann standen wir am Ende des Nersjøen  und schauten verständnislos auf das reißende Wildwasser, das sich aus diesem ergoss, um gurgelnd in einem Wasserfall und einen Canyon zu verschwinden. Ich schaute Ole an und sagte tonlos: “Hier ist gar kein Damm.” Die Implikationen konnte ich selber noch gar nicht verarbeiten. In meinem Kopf herrschte gähnende Leere. “Doch, aber gute 20 cm überspült.” Ole deutete auf den wild gurgelnden Abfluss des Sees. Tatsächlich, da war unter dem Wasser ein schmales Stück Mauer zu erkennen. Das sollte ein Damm sein? Bei diesem Wasserstand hatten wir absolut keine Chance, ihn heil zu überqueren.

Wir standen auf der falschen Seite eines reißenden Flusses und konnten es nicht fassen. Und jetzt?

Der erste panische Gedanke war, dass wir entweder den gesamten Weg würden zurück gehen müssen oder bis zum Ende der Schneeschmelze dort festsitzen würden. Ein Blick auf die Karte ergab zum Glück noch eine dritte Alternative. Mit etwa 5 km Fußmarsch am Hang entlang um den Berg herum konnte man eine kleine Siedlung von Ferienhäusern namens Finnlandsvollan erreichen. Diese lag an einer kleinen Straße. Und diese Straße hatte nach weiteren 2 km eine Brücke über den Fluss (der sich bis dahin noch mit einem anderen großen Fluss vereint hatte). Hätten wir die Brücke erreicht, müssten wir auf der Straße auf der anderen Seite des Flusses die gesamte Strecke noch wieder zurück laufen, denn die Brücke lag für uns in der falschen Richtung.

Wir schauten auf den überspülten Damm. Unmöglich. Wir schauten zum Berg hoch, denn wir gerade herunter gestolpert waren. Im Moment undenkbar. Wir schauten auf den durchweichten Hang, der zu der Brücke führen würde. Wir befragten unsere müden Beine und unsere nassen Füße. Die Antwort war eigentlich eindeutig. Wir befragten die Wanderkarte nach der Anzahl an Bächen, die zwischen uns und der Brücke lagen. Die Antwort gefiel uns gar nicht. Vor allem da einer davon – der letzte vor der Siedlung – aus einem See kam und laut Karte sogar einen Namen hatte. Beide Indizien sprachen nicht für einen kleinen Bach.

Was tut man, wenn man nach 6 Stunden Anstrengung und voller Konzentration endlich kurz vor der ersehnten Straße steht und dann auf ein unüberwindliches Hindernis trifft? Den wichtigsten Muskel nutzen, den wir haben. Befehl von Gehirn an müde Beine und nasse Füße und weiter geht es.

Nach etwa einer halben Stunde, als der erste Frust verdaut war, machten wir uns bei einer Pause etwas Warmes zu essen. Das half. Dann ging es wieder weiter.

Das Gelände war unsäglich. Der Untergrund am Hang war schräg, uneben und von der Schneeschmelze fast durchgehend völlig durchnässt. Einen Weg gab es nicht. Die Füße fingen an zu schmerzen. Aber auch wenn wir das alles zum Kotzen fanden … es nutzte nichts. Es gab keinen Bus oder Taxi, wir mussten uns selber helfen. Der Gedanke an den Notfallknopf an unserem Satelliten-Tracker beruhigte die Nerven. Eine wirklich Alternative war es für uns in der Situation aber nicht.

Jedes Rauschen von Wasser vor uns machte uns nervös. Wie groß würde der Bach sein? Meist kamen wir ganz gut hinüber. Mit eh schon nassen Füßen konnte man auch noch Trittsteine benutzen, die schon deutlich überspült waren. Dann weiter, die nassen Füße warm halten. Dann wurde das Rauschen vor uns wieder lauter. Und lauter. Und noch lauter. Dann standen wir vor einem Wasserfall. Wild rauschend schoss das Wasser hinunter und verschwand gurgelnd in einem kleinen Canyon. So breit war das Ungetüm gar nicht, vielleicht gute 2 m, aber damit zu breit für einen großen Schritt oder gar Sprung. Mit hängenden Schultern und Ohren bahnten wir uns einen Weg den Hang hinunter auf der Suche nach einer passierbaren Stelle. In einer Wiese teilte er sich in zwei Arme auf, überspülte auf breiterer Fläche Wiese und kleine Büsche. Viel Wasser war das hier immer noch. Auf der anderen Seite würde es steil ein Schneefeld hinauf gehen. Nicht schön.

In einem Anfall von Optimismus gepaart mit Größenwahn statteten wir dem großen Fluss am Fuß des Hanges einen kleinen Besuch ab. Der sah hier sehr breit aus. Vielleicht käme man hinüber? Ja, er war dort sehr breit, auch in mehrere Arme aufgeteilt … aber, ganz ehrlich, machen wir uns nicht lächerlich. Also den Hang wieder hoch zurück zu unserem Bach mit den überspülten Büschen und dem steilen Schneefeld.

Es ging. Mit positiven Bildern im Kopf. Dank unseres wichtigsten Muskels. In Sandalen und mit einigem Geschrei angesichts des eiskalten Wassers bei der Querung und des Schnees, der danach in die Sandalen rutschte.

Und wieder weiter. Mit immer müder werdenden Beinen und schmerzenden Füßen. Aber die hatten nicht das Sagen. Wir wollten aus diesem Gebiet raus, wollten zu der Brücke. Der Kopf entschied, dass es noch gehen musste, also ging es auch.

Nach langen Stunden – in dem Gelände schafften wir nicht mal 2 km pro Stunde – und ganz kurz vor dem Ziel dann wieder das laute Rauschen. Da war er, unser Freund, der aus einem See kam und der sogar einen Namen hatte. Nur eine Brücke leider nicht. Wild schäumend schoss er vor uns den Hang hinab. Die Ferienhäuser auf der anderen Seite nur 100 Meter entfernt und doch scheinbar unerreichbar.

Ein Stück flussabwärts verbreiterte sich das kleine Monster kurzzeitig auf das Doppelte. Für Ole sah das machbar aus. Für mich mit müden Beinen und leerem Kopf unmöglich. Auf das über die Steine rauschende Wasser starren. Die Tiefe des Wassers zwischen den Steinen abschätzen. Konnte ich bei der Strömung noch einen kontrollierten Schritt setzen oder würde mir das Wasser den Fuß wegreißen? Was waren die Alternativen? Zelt aufbauen und es am nächsten Morgen versuchen?

Ich stellte mir vor, wie ich wohlbehalten am anderen Ufer aus dem Bach stieg. Stellte mir vor, wie es sich anfühlen würde, die Ferienhäuser erreicht und damit dieses gruseliges Gebiet hinter uns gelassen zu haben. Wir zogen die Hosen aus und die Sandalen an. Ich hakte mich bei Ole unter. Ihm schoss das schnell strömende Wasser bis zum Knie, bei mir war es in Oles “Schatten” flussabwärts zum Glück etwas weniger heftig. Wir machten unsere Schritte abwechselnd. Erst Ole zwei Schritte, dann ich, dann wieder er. “Ich hab Dich”, sagte er immer wieder. “Ich hab Dich”. Genau das was mein Kopf für meine nächsten zwei Schritte brauchte. Und schon waren wir drüben.

Als Ole sagte, dass Bear Grylls auch nichts anderes gemacht hätte als wir, außer vielleicht noch die beiden Frösche gegessen, die wir gesehen hatten, mussten wir beide herzhaft lachen. Uns ging es gut.

Wir gingen dann nur noch ein kleines Stück, um außer Sichtweite der Ferienhäuser zu sein. Ole machte tapfer noch Abendessen. Um 23 Uhr krochen wir in die Schlafsäcke. Mit komplett leeren Köpfen.

Tag 10

von Ole

Nach dem Toilettengang um 5:00 Uhr schliefen wir bis 11:00 Uhr weiter. Zu kaputt waren wir nach den Strapazen des Vortags. Ganz langsam – der Regen beschleunigte uns nicht – standen wir auf.

Zum Frühstück aß Andrea immer noch weniger als normal. Zu groß noch die Erschöpfung von Kopf und Körper. Der Regen prasselte auf das Zeltdach. Ein Tag in Regenklamotten stand uns bevor. Das Zelt wurde abgetrocknet, ständig konnte ich den Waschlappen auswringen. Zum Abschluss half gut schütteln, damir wir ein einigermaßen trockenes Zelt einpacken konnten. Zeltabbau im Regen ist doof.

Nach kurzer Zeit erreichten wir die Brücke über den breiten Strom. Welche Bedeutung so normalerweise selbstverständliche Dinge bekommen können. Manchmal sind wir auf Zivilisation angewiesen.  Auf einer Schotterstraße gingen wir zurück zu der Stelle, die wir eigentlich am Vortag schon hatten erreichen wollen. Im Nieselregen. Schritt für Schritt. Nach ca. 8 km erreichten wir den Abzweiger zur Kjølihytta. Sollte nicht so schwer sein, diese zu erreichen, zwar mit knapp 300 m Aufstieg auf 7 km, das meiste davon aber auf einem Feldweg.

Wir stärkten uns auf einer Bank (!) und fragten uns, ob wir die Besitzer des Autos neben uns später auf der Hütte treffen würden. Wir würden. Und das war auch gut so. Schon nach wenigen Metern verschwand der Feldweg unter einer riesigen Schneewehe. Doch im Gegensatz zu den letzten Tagen gab es diesmal Trittspuren! Das beruhigte die Nerven. Der Aufstieg gestaltete sich trotzdem schwieriger als erwartet. Immer wieder mussten wir den Weg suchen. Die Schneewehen waren teilweise bis zu 5 m hoch. Winter pur. Um uns herum immer mehr weiß. Wir lernten später, dass der Frühling 3 Wochen zu spät war und viele Flüsse Hochwasser hatten. Die Spuren im Schnee und der immer wieder zum Vorschein kommende Weg taten gut. Am Ende half noch einmal das GPS Gerät, bis ich endlich “Hütte” rufen konnte. Erleichterung machte sich breit.

Wir wurden dann herzlich empfangen und teilten uns die Hütte mit einem norwegischen Paar. Immer wieder gemütlich diese einfachen Hütten. Der Ofen heizte den Hauptraum auf nette Temperaturen, draußen versank die Welt im Weiß, Schuhe und Klamotten trockneten und es gab eine Toilette. Wir waren die ersten Sommergäste laut Hüttenbuch, Ende April waren es noch Skitourengeher gewesen. Wir genossen die Ruhe nach diesem halben Tag und schrieben und lasen, nachdem wir zur Abwechslung aus dem Proviantlager der Hütte unser Abendessen bestritten hatten. Als Vorspeise gab es gebratenen Fisch von unseren Mitbewohnern.

Tag 11

von Ole

Gegen 8:00 Uhr wurden wir wach und standen auf. Andrea heizte den Ofen an, dann mischten wir 3 Löffel Eipulver mit 4 Löffeln Milchpulver und 4 Löffeln Mehl und 250 ml Wasser zu einem leckeren Pfannkuchenteig zusammen. Die Pfannkuchen machte ich dann in der großen Pfanne in kleinen Portionen, dazu gab es Nutella aus unserem Proviantsack und Erdbeermarmelade aus dem Proviantlager der Hütte. Sehr lecker und eine willkommene Abwechslung. Wir wuschen ab, räumten das Zimmer und fegten durch, ich füllte die Abrechnung aus und steckte sie in die dafür vorgesehene Box. Wir verabschiedeten uns und zogen los. Ohne Regenkleidung. Bei 4° C. Zum Glück wartete am Ende des Tages doch tatsächlich ein Hotel auf uns.

Nach kurzer Zeit sahen wir eine Herde Rentiere und ca. 20 Minuten später hielt ein Mann im Schneescooter (!) auf uns zu. Es war ein Sami, der die Rentiere weiter runter ins Tal treiben wollte. Wir konnten ihm sagen, wo sie waren.

Es gab einen guten Weg, der leider immer wieder unter großen Schneefeldern verschwand. Es machte viel Mühe, erst mit den bloßen Augen, dann mit dem Fernglas und zu guter letzt mit GPS und Karte den Weg wieder zu finden. Wenn wir weglos über die Vegetation neben dem Schnee laufen mussten, war das sehr anstrengend. Der Boden gab häufig nach, die kleinen, alten Zwergsträucher hielten die Schuhe fest und es ging immer wieder kleine, steile Hügel hinauf und hinunter. Auch hier sahen wir noch einmal Rentiere, diesmal sogar mit kleinen Kälbern.

An einem Schneefeld passierte es dann. Erst hörte ich es glucksen, einen Schritt weiter brach ich durch den Schnee und stand dann 50 cm tiefer in einem eiskalten Bach und die Schuhe liefen voll. Pech gehabt! Musste bei diesen Umständen irgendwann passieren. Schnell gingen wir weiter, um die Füße wieder warm zu bekommen. Und das nächste Schneefeld kam auch schnell …

Zur Mittagspause hinter einer Baumgruppe gab es für mich dann trockene Socken, leider bleiben die bei nassen Schuhen nicht lange trocken. Im Abstieg dann das übliche Schmelzwasser, der späte Frühling zehrte an unseren Nerven. Wir waren froh, die Straße zu erreichen, auch wenn sich die letzten Kilometer zum Vektarstua Hotel lang zogen. Dafür gab es eine warme Dusche und die mittlerweile scheinende Sonne konnte unsere Wäsche und auch die Schuhe auf dem Balkon ein wenig trocknen.

Zum Abendessen gab es Tacos und Steckrübeneintopf mit Salzfleisch, beides sehr lecker. Danach überlegten wir sehr lange, wie wir bei diesen Umständen weiter gehen konnten. Die Grenzen sind schon sehr eng gesteckt. Die Schneefelder riskant, die Flüsse durch die verspätete Schneeschmelze deutlich voller und reissender als erwartet.

Tag 12 – Ruhetag

  • frühstücken
  • schreiben
  • Strandspaziergang am See
  • einkaufen
  • mit einem Guide den weiteren Weg diskutieren
  • Mittagessen
  • schlafen
  • schreiben
  • lesen
  • Abendessen

Über diesen Pass sollte es am nächsten Tag gehen, ohne markierten Weg

Doch vorerst stoppte uns dieser Fluss

Und wir mussten beim Zeltplatz improvisieren

Am nächsten Morgen tatsächlich geringerer Wasserstand – wie aus dem Lehrbuch

Eine bedrohliche Landschaft im Aufstieg zum Pass

Hier mussten wir eine Lösung finden

Schneebrücke suchen und Gewicht verteilen

Was verbirgt sich wohl unter diesem Schneefeld?

Hoffnung auf einen einfacheren Abstieg auf der anderen Seite vom Pass

Im Abstieg machten die Schneefelder sogar mal Spaß

Nersjøen

Der überspülte Damm

Und der Wasserfall dahinter – dort ging es nicht rüber

Ein warmes Essen half ein wenig

Weiter unten ging es mit Sandalen – auch mit Schneehang dahinter

Das Ziel schon in Sichtweite und doch so fern

Hier ging es dann doch

Ole machte tapfer noch Abendessen

Am nächsten Tag endlich an der Brücke

Was für Massen an Schnee

Hütte!

Warm und gemütlich

Wasser, Eipulver, Milchpulver und Mehl

Mal ohne Regenkleidung

Für Ole gab es trotzdem nasse Füße, hier brach er durch den Schnee

Für uns ist es Anstrengung, für andere das Zuhause

Schuhe trocknen im Hotel

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